(Auszug aus einem Artikel von Wiener Zeitung Online, 4.1.2021)

Vorerst ein Traum scheint die Möglichkeit, gefürchtete Demenzerkrankungen zu verhindern. US-Behörden wollen im kommenden Jahr die Genehmigung des ersten Medikaments, das das Fortschreiten von Alzheimer verlangsamen soll, prüfen. Der Antikörper namens Aducanumab der Pharmafirma Biogen bindet sich an das Amyloid-Protein im Gehirn, das als Auslöser für die Demenzerkrankung gilt. Derzeitige Therapien sowohl gegen Alzheimer als auch gegen Parkinson wirken nur gegen die Symptome der Krankheiten.

Gespräch statt Wunderpille

Es sind im Wesentlichen drei Gründe, warum der wissenschaftliche „Durchbruch“ bei Demenzerkrankungen bisher nicht stattgefunden hat. Erstens umfasst der Begriff „Demenz“ ein ganzes Bündel verschiedener degenerativer neurologischer Erkrankungen. Der Forschungsgegenstand ist also nicht so leicht einzugrenzen. Zweitens haben Demenzen komplexe Ursachen, wobei der Lebensstil ein wesentlicher Faktor zu sein scheint. Und drittens lassen sich aus diesem Grund zwar einige wenige demenzielle Erkrankungen medizinisch behandeln, jedoch sind die Therapien nur bedingt wirksam, vor allem dann, wenn sie zu spät im Krankheitsverlauf ansetzen.

Auch wenn es keine Wunderpille gegen Demenz gibt, existieren immerhin Behandlungsmöglichkeiten nicht-pharmakologischer Natur. „Demenzen sind auf einer psychosozialen Ebene sehr gut therapierbar“, sagt Stefanie Auer, Professorin für Demenzforschung an der Donau-Universität Krems und Leiterin des dortigen Zentrums für Demenzstudien sowie wissenschaftliche Leiterin der MAS Alzheimerhilfe. Das eigentliche Problem sei, dass Demenzerkrankungen meistens zu spät erkannt würden. Die Diagnoserate in Österreich liege bei 20 bis 30 Prozent.

Erst kürzlich hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Demenz unter die aktuell zehn häufigsten Todesursachen aufgenommen. Allerdings liegt die Tragik der – oft unerkannten – Demenz darin, dass Betroffene sehr lange mit ihr leben müssen, ohne Hilfe zu bekommen. Im Durchschnitt sind das rund 15 Jahre. Daher seien insbesondere Früherkennung und Prävention sehr wichtig, betont Auer. So ließen sich für die Betroffenen viele Jahrzehnte eines erfüllten Lebens trotz Demenz gewinnen.

Was die Früherkennung betrifft, hat die Demenzforschung in den vergangenen Jahren von Erkenntnissen der Epigenetik und der Molekularbiologie sehr profitiert. „Es gibt eine Reihe von Biomarkern, die ein bestimmtes Risiko, an einer Demenz zu erkranken, signalisieren“, erläutert Auer. Im Blut, im Gewebe, sogar in den Knochen mehren sich zuerst die Anzeichen für Veränderungen im Zentralnervensystem. „Darin liegen große Chancen.“ Die Demenzforscherin will den Menschen die Angst nehmen, denn in Zukunft werden mehr und mehr Personen mit Demenz leben müssen. Unter den derzeit vorherrschenden Bedingungen – viel Stress, wenig Bewegung und tendenziell ungesundes Essen – macht das Gehirn früher schlapp als der Körper. „Durch einfache Interventionen, wie eine gesunde Ernährung, mehr Bewegung und geistige Betätigung, ließen sich viele Demenzerkrankungen hinauszögern“, ist Auer überzeugt.

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Turbo-Forschung allein reicht nicht – Wiener Zeitung Online